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Links zu Leseproben:

08. Mai 2008
Ein Live-Act-Künstler als Homestylist

10. April 2008
Die Haltbarkeit reifer Frauen und linksdrehender Joghurts

13. März 2008
Mit der Verlockung einer Kerze zur Zielgenauigkeit

14. Februar 2008
Männliche Horizonte verändern sich -
in der Horizontalen

27. Dezember 2007
Ein Blick zurück in Schneegestöber
und Egoismus

25. Oktober 2007
Tag der offenen Tür im Krematorium Dortmund

30. August 2007
Ey Alte, pass auf, ey, ich komm
gleich bei Dich bei

08. März 2007
Für den Bischof eine Gebärmaschine

 

 

 

25. Oktober 2007
Tag der offenen Tür im Krematorium Dortmund

Dortmund ist eine Großstadt. Zumindest wenn man aus Fellbach kommt. Fellbach liegt in der Nähe von Weinstadt - Strümpfelbach, hinter der Abfahrt Stuttgart - Zuffen-hausen, kurz vor der Abfahrt Stuttgart Stammheim. Vor dreißig Jahren gab es noch keine Nashörner mit Flügeln in Dortmund, in Fellbach gibt es sie bis heute nicht. Aber gestorben wurde auf jeden Fall im Oktober vor dreißig Jahren, sowohl in Stammheim als auch in Dortmund.

Dies ändert sich jetzt, zumindest in Dortmund. Im Jahr 1985 starben noch 7681 Personen, im Jahre 2004 nur noch 6651. Wo sind die überschüssigen 1030? Dem Tod von der Schüppe gesprungen! „Die Mortalität nimmt ab, die Morbidität nimmt zu!“ erläutert der Referent im Reinoldinum. Wie bitte? Die Sterblichkeit nimmt ab? Stimmt nicht! Gestorben wird immer. Nur nicht mehr so früh. Zumindest in Dortmund. Im „Fellbacher Blättle“ dagegen ist zu lesen: “Als er in unsrer Mitte an Geist und Körper blühte, ließ sich ein Engel sehn´ und winkt ihm mit zu geh´n!“ Lange in Krankheit leben, heißt das Modell in Dortmund jetzt. Ich will das nicht. Als Prügel noch eine öffentlich anerkannte Erziehungsmethode waren, gab es noch keine Senioren, sondern nur „Alte Leute“. Kranke alte Leute hießen „Friedhofsgemüse“. Und meine Mutter ohrfeigte der Fünfjährigen fast den Kopf vom Hals, als ich angesichts der alten Damen auf den Parkbänken des Ostfriedhofs fragte: “Wieso sind die noch nicht tot?“

Jetzt sitze ich selber in der ersten Reihe. Zu meinem 50-ten hat mir der Dortmunder Cartoonist Ari Plikat eine energische Dame gezeichnet, die den Sensenmann anschreit: „Und was ist jetzt mit Anti-Aging?“ Das wollen wir alle wissen. Memento mori! Mit dem Roxy-Kinomacher Bernd Twardy ist eine Ära der „anderen“ Dortmunder Geschichte beerdigt worden. Hausbesetzungen in Dorstfeld, Rote-Punkt-Aktion gegen Fahrpreiserhöhung, damals hießen Kontrolleure noch korrekt „Controlettis“ und nicht „Kundenbetreuer“, passend unpassend im ehemaligen Fischladen das KCR „Kommunikationscentrum Ruhr“ - lange bevor Wowereit sagen konnte „Ich bin schwul und das ist gut so!“ - der 1. andere Schwulen- und Lesbentreff, die FAD, die Frauen-Aktion-Dortmund, mit ihren, so ein Politiker, „büstenhalterlosen Furien“, die ein Frauenhaus forderten, Gewalt in der Familie war Privatsache, und in der Nachbarschaft des Straßenstrichs ein eiskalter Filmvorführraum mit beinharten Ikea-Holzklappstühlen, das Roxy in der Gneisenaustr. Was wir wollten, wie wir wurden! Wen die Götter lieben, den holen sie früh zu sich. Ich stand offensichtlich nicht auf der Liste. Ich kann mich auf ein Leben als markiertes und zweimal täglich gewendetes Gammelfleisch einstellen. Ich will das nicht. Ich bereite mich vor. Man lebt ja nur so kurze Zeit und ist so lange tot. „Zweifel tötet“! das Motto der Herzinfarkt und Schlaganfallwoche vom 10.bis 17.November, meint aber ganz pragmatisch nur die Notrufnummer. Die habe ich ja schon! Aber unter www.leichenhemd.com habe ich mir, lokalpatriotisch bis zum Ende, immerhin handelt es sich um eine Dortmunder Designerin, erste Anregungen für das letzte Hemd geholt. Während der hölzerne Jesus im Schaufenster des Bestattungshaus König, vormals Heimkehr in der milden Altweibersommersonne bräunt und ich die Urnen betrachte, fällt mein Blick auf das Infoblättchen an der Scheibe: “Tag der offenen Tür - 10 bis 16.00 Uhr - 1.November -Krematorium Dortmund.“ Das Leben ist hart, aber es geht vorüber.

 
© Uta Rotermund 2011
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